Woher kommen Designinhalte wie Pyramide, Schwibbogen, Räuchermann und Lichterbergmann? Dresdner Forscher schreibt mit neuesten Erkenntnissen Erzgebirgsgeschichte neu

Bergmannsaufzug im Plauenschen Grund,
Kupferstich nach Jacob Fehling, 1724

1 Das beleuchtete Halbrund über dem Eingang des Saturntempels bildete das Vorbild für den Schwibbogen.
2 Die hell erleuchteten Pyramiden des Saturntempels – die übrigens in den Aufzeichnungen von 1719 genau so genannt  wurden – nahmen die Erzgebirger später zum Vorbild für die Weihnachtspyramiden.
3 Im Zickzack schritten die 1400 Bergleute von einer Hochebene hinab in den festlich illuminierten Plauenschen Grund. An diesem Abend warfen sie einen Blick ins Paradies.
4 Erstmals in der Geschichte durften die Bergleute aus dem Erzgebirge zur Fürstenhochzeit 1719 vor dem König paradieren. Das stolze Ereignis markierte einen Kulturwandel für die gesamte Region.
5 Zur Bewachung der mit wertvollen Prunkstücken ausgestatteten Parade hatte der König Soldaten beordert, die als Türken verkleidet am Rande standen und rauchten – das Vorbild für die Räuchermänner. 

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KunstHandwerk - Erzgebirge historisch
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Der renommierte Dresdner Volkskundler Dr. Igor Jenzen hat herausgefunden: Die berühmten Erzgebirgsmotive gehen auf das Dresdner Saturnfest zur großen Fürstenhochzeit 1719 zurück. Die 1400 Bergleute aus dem Erzgebirge, die der König zu diesem Fest eingeladen hatte, setzten ihre eindrucksvollen Erlebnisse später in den einzigartigen Holzfiguren um.
  „Dr. Jenzens Erkenntnisse rücken die Wertigkeit der Erzgebirgischen Holzkunst in ein neues Licht“, sagt Dieter Uhlmann, Geschäftsführer des Verbandes Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller e.V. „Engel und Bergmann, Pyramide und Schwibbogen, Lichterzauber und Räuchermann entstanden wahrscheinlich nicht aus Not und Niedergang des Bergbaus, sondern aus dem Glanz des Sächsischen Hofes. Sie entsprangen den schillernden Eindrücken einer höfischen Jahrhunderthochzeit, die sich in das kulturelle Gedächtnis einer ganzen Region einbrannten – und zwar so stark, dass daraus eine eigene Kunstform entstand, die in Verbindung mit dem bergbaulichen Hintergrund durch das handwerkliche Geschick der Menschen, die hier lebten, einzigartige Ausdrucksformen fand.“
Dr. Jenzens These: „Wir schreiben das Jahr 1719. Am Dresdner Hof stand die Hochzeit des Jahrhunderts an. Kurfürst August der Starke verheiratete seinen Sohn Friedrich August mit der Kaisertochter Maria Josepha und sicherte den Wettinern damit erstmals in der Geschichte einen Anspruch auf den Kaiserthron. Das Hochzeitsfest musste diesem Anspruch angemessen sein, schließlich spielte man ab sofort in einer Liga mit dem Kaiser und dem Sonnenkönig Ludwig XIV. Einen ganzen Monat lang wurde in Dresden gefeiert, Tag für Tag. Den Höhepunkt des Feiermarathons bildete das Saturnfest im Plauenschen Grund. Es war Saturn, dem Gott der Unterwelt, gewidmet, in dessen Zuständigkeitsbereich auch der Bergbau gehörte. Denn dem Bergbau im Erzgebirge verdankte der Dresdner Hof seinen Reichtum. Es wurde ein Fest, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Den Anfang machte nachmittags eine große Treibjagd, darauf folgte eine italienische Komödie. Als es Abend wurde, verlagerten sich die Aktivitäten in und um den eigens errichteten Saturntempel.“
Schaut man sich den Tempel auf den Kupferstichen aus jener Zeit an, sieht man eine hell erleuchtete Festarchitektur mit drei großen Arkaden, deren mit Fackeln besteckte Bögen zwischen vier mit Lampen bestückten Obelisken gespannt sind – es sieht tatsächlich so aus wie Schwibbögen, flankiert von Pyramiden.
Doch was hat all das mit dem Erzgebirge zu tun? Dr. Jenzen erklärt: „Vor diesem Tempel, so wünschte es der König, sollte eine gigantische Bergparade stattfinden. Dafür hatte er eigens 1400 Bergleute nach Dresden berufen. Natürlich mussten die Bergleute dazu fein eingekleidet sein. Nach dem Vorbild militärischer Uniformen ließ August der Starke schmucke Habits entwerfen, die Rang und Hierarchie der Träger widerspiegelten. Und so erschienen nun die Bergleute zum großen Saturnfest in Dresden. Im Zickzack marschierten sie von der Hochebene hinab in den festlich erleuchteten Plauenschen Grund, wo sie sich zum ersten Mal in der Geschichte vor August dem Starken, dem Sächsischen Kurfürsten und König von Polen, darstellen durften. Es muss ein grandioses Erlebnis für sie gewesen sein – sie warfen in dieser Nacht einen Blick ins Paradies.“
Als sie nach diesem Abenteuer wieder nach Hause kamen, so Dr. Jenzens These, berichteten sie von ihrem Auftritt vor dem König und seinen hohen Gästen als stolze Bergleute aus dem Erzgebirge. Sie erzählten von leuchtenden Bögen und spitzen Pyramiden mit unzähligen Lichtern. Und es war nicht nur einer, der diese Geschichte erzählte – es waren 1400 Menschen. Es muss ein unfassbarer Eindruck gewesen sein, der sich ins kulturelle Gedächtnis einer ganzen Region einbrannte. Und wer es nicht selbst gesehen hatte, dem wurde es gezeigt, aufgezeichnet und vorgeführt. Wahrscheinlich bauten die Zeugen des großen Ereignisses kleine Modelle, um den Daheimgebliebenen zu erläutern, was sie erlebt hatten.


Nach dem Jahrhundertfest tauchen die ersten Motive auf, die sich auf das Saturnfest bezogen: Geschnitzte Bergmänner im Habit, wie es auf dem Fest getragen wurde. Eine sich drehende, zweistöckige Pyramide, ein Schwibbogen mit Kerzen. Und später auch rauchende Türken. Auch diese haben die Bergleute in jener Nacht im Plauenschen Grund erlebt, wie Dr. Jenzen erläutert: „Die Bergleute präsentierten zur Parade nicht nur Motivwagen, die Elemente des Bergbaus nachbildeten, sondern sie bekamen am Eingang des Plauenschen Grundes auch äußerst wertvolle Schätze aus dem Grünen Gewölbe in die Hände gedrückt: Bergstufen, Silberadern und mechanische Bergbaumodelle mit Uhrwerksaufzug. Um diese Schätze zu sichern, ließ der König den Festplatz mit Soldaten umstellen. Und damit diese martialische Maßnahme das Fest nicht störte, ließ er sie als türkische Janitscharen verkleiden. Da sie nicht wirklich eingreifen mussten, standen sie, wie auf den alten Kupferstichen wunderbar zu sehen ist, am Rand des Geschehens und rauchten. Genau diese rauchenden ‚Türken‘ mit ihren langen Pfeifen finden sich später als hölzerne Figuren im Erzgebirge wieder.“
Jenzens Erkenntnisse bedeuten für das Erzgebirge, das in diesem Jahr zum UNESCO-Welterbe erklärt wurde, eine kleine Revolution. Seine Entdeckungen sind ein echter Gewinn: Die Motive der Erzgebirgischen Volkskunst® gründen auf dem Stolz von über tausend Bergleuten, die sich auf dem Jahrhundertfest des Kurfürsten und Königs in voller Pracht präsentierten und dabei einen Blick ins Paradies wagten. Diese große Ehre wurde ihnen deshalb zuteil, weil die Menschen aus dem Erzgebirge schon immer Vorreiter der Technik waren. „Das Powerhouse von Sachsen, ein wahrhaftiges Silicon Valley“, sagt Dr. Jenzen über das Erzgebirge. „Und das ist die Region bis heute. Modernste Industrien, einmalige Spezialisten, Innovationen von Weltrang – dafür steht das Erzgebirge. Der Bergbau ist seit Jahrhunderten der Motor dieser Entwicklung. Alles, was wir brauchen, ist eine neue Sichtweise. Es wird Zeit, dass wir die Geschichte des Erzgebirges von vorn erzählen!“

Verbandsgeschäftsführer Dieter Uhlmann ergänzt: „Genau dieses Image ist es, das der Verband Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller e.V. von Anbeginn an vertritt und fördert. Die Erzeugnisse, die die Kunsthandwerker des Erzgebirges schaffen, sind von aller höchster Wertigkeit – zum Großteil in Handarbeit nach höchsten Qualitätsstandards im deutschen Teil des Erzgebirges gefertigt. Dank Dr. Jenzens These dürfen die Kunsthandwerker nun mit noch mehr Selbstbewusstsein auftreten und die Wertigkeit ihrer weltweit einzigartigen Erzeugnisse voller Stolz verkünden.“

Dr. Igor Jenzen ist seit 2004 Direktor des Museums für Sächsische Volkskunst in Dresden. Zuvor war er als Wissenschaftler am Kunstgewerbemuseum mit der Hofkunst Dresdens beschäftigt. Er las in den alten Kupferstichen wie in einem Bilderbuch, und so fügte sich unter seinem Kennerblick Stück für Stück zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Die Ergebnisse präsentiert das Museum noch bis Januar 2020 in der Ausstellung „Glück auf und ab im Erzgebirg! Der Bergmannsaufzug zur Fürstenhochzeit 1719 und seine Folgen für die Volkskunst“.

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Geschäftsführer Dieter Uhlmann und Frederic Günther
Albertstraße 15
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Telefon: 037360 / 72442
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Olbernhau, 18. Dezember 2019
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