Jan Hoff : Befreiung heute . Emanzipationstheoretisches Denken und historische Hintergründe

Diskurs-PA4  2016 - Lebensglück III Sinnlosigkeit & Sinn
J. Hoff: Befreiung heute . Mit links
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Online-Publikation: August 2016 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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392 Seiten | Broschur | ISBN 978-3-89965-709-8  | EUR 39.80
VSA - Verlag, D-20099 Hamburg : http://www.vsa-verlag.de

Charakteristika
»Befreiung« ist wieder im Gespräch. Nach den sozialen Emanzipationsbewegungen im »kurzen 20. Jahrhundert« erfuhr das emanzipatorische Denken in Zeiten neoliberaler Globalisierung neuen Auftrieb und steht heute an einem historischen Knotenpunkt.

Inhalt
Nicht erst die jüngste Weltwirtschaftskrise (2007ff.) wirft kritische Fragen zum Kapitalismus auf. Aber ihre Auswirkungen waren ein begründeter Anlass für eine Zusammenfassung und Bewertung der internationalen emanzipationstheoretischen Debatte.
Hierbei handelt es sich um einen vielfältigen und differenzierten Diskussionszusammenhang, der vor spezifischen historischen Hintergründen zu erforschen und darzustellen ist. Die Entwicklung der an Marx orientierten Theoriebildung ist aktuell an einem Punkt angelangt, in dem speziell die Geschichte der verschiedenen »häretischen« Strömungen auf beachtliches Interesse trifft.
Jan Hoff zeigt die historischen und politisch-theo­retischen Zusammenhänge auf. Sie reichen von Marx, dem frühen Anarchismus und den revolutionären Denkansätzen im Umfeld der Oktoberrevolution über die krisentheoretischen Diskussionen der Zwischenkriegszeit und die libertärsozialistischen Strömungen nach 1945 bis hin zur internationalen Diskussion um Krise und Befreiung seit 2007, von David Graeber bis zur Neuen Marx-Lektüre hierzulande.

Aus dem Inhalt:
◾ Emanzipatorisches Denken im Zeitraum 1857 bis 1914
◾ Soziale Emanzipation, revolutionäres Subjekt und ökonomische Krise im »kurzen 20. Jahrhundert«
◾ Krise und Konterrevolution
◾ Emanzipatorisches Denken nach 1945
◾ Die Diskussion um Krise und Befreiung seit 2007
◾ Denkansätze im Kontext der Protestbewegungen – die internationale Diskussion
◾ Die Kritische Perspektive der Neuen Marx-Lektüre
◾ Befreiung heute.

Inhalt & Leseprobe:
www.vsa-verlag.de-Hoff-Befreiung-heute.pdf54 K

Autor
Jan Hoff arbeitet als Gesellschaftswissenschaftler, forschte am Netherlands Institute for Advanced Study und lehrte zuletzt an den Universitäten Innsbruck und Kassel. Seine bisher bekannteste Buchveröffentlichung ist »Marx global« (2009)

Fazit
In der Studie von Jan Hoff , seiner "Befreiung heute" werden das emanzipationstheoretische Denken wie die historische Hintergründe ausführlich untersucht.
In dieser unverzichtbaren Darstellung emanzipationstheoretischer Perspektiven kommen allerdings die emanzipations(PRAKTISCHEN) Perspektiven etwas zu kurz.
Die erste Überwindung des kommunistischer-kollektivistischen Anarchismus von Kropotkins Schrift 1892 (Die Eroberung des Brotes 1892) wird besonders im Sonderweg
der revoltierenden bis konsensführenden Massenaktionen & liberal gestützten Sozialreformen vor und nach 1914 bis 1938 in Österreich sichtbar,  mit ihrem sozialen demokratischen Lebensraum-Modell in Wien, das fehlt in dieser Studien-Darstellung in dieser ansonsten umfassenden Betrachtung  der sozialistisch - linken Bewegung.
Quintessenz
Die Praxis er Befreiung ist 'als Selbertun/Selbsttätigkeit, Selberdenken & -diskutieren der sich Befreienden aufzufassen (F.O.Wolf / J. Hoff)
Lern- & Selbstverständigungsprozesse - speziell die gemeinsame Erarbeitung eines adäquaten Kapitalismusverständnisses sowie einer VISION von der postkapitalistischen befreiten Gesellschaft - müssen einen integralen Bestandteil dieses kollektiven Przesses des 'Selbertuns' darstellen, J. Hoff'. m+w.p16-8

Weitere vertiefende Hinweise

http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-suchworte-a-z/pa4-suchworte-k/kapitalismus-i-xxii.html; http://www.kultur-punkt.ch/linke-lokalpolitik.html;
http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-aktuell/g-duval-modell-deutschland/b-ramelow-die-linke-umfeld-in-d.html; http://www.kultur-punkt.ch/politische-buendnisse.html;
http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-aktuell/s-hennig-wellsow-mit-links-regieren.html; http://www.kultur-punkt.ch/kapitalismus-im-niedergang.html;
http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-aktuell/gegen-neoliberalismus-andenken-1626.html;
http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-suchworte-a-z/pa4-suchworte-e/eu-zukunft-altvater-mahnkopf.html;
http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-aktuell/r-misik-was-linke-denken.html; http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-aktuell/solidaritaet/solidaritaet-alle-verhaeltnisse-umwerfen.html; http://www.kultur-punkt.ch/diskurs-aktuell/arbeiterbewegung-nation-globalisierung-1851.html; h
ttp://www.kultur-punkt.ch/diskurs-platon-akademie-4-pa4/pa4-aktuell/m-hirsch-kulturelle-linke.html
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© VSA: Verlag 2016, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
Druck- und Buchbindearbeiten: CPI Books GmbH, Leck
ISBN 978-3-89965-709-8
Inhalt
Danksagung .............................................................................................................. 9
Einleitung ................................................................................................................ 11
Erster Abschnitt:
Inspirationsquellen und emanzipationstheoretische Perspektiven
bei Marx, Bakunin u.a.
Kapitel 1: Aspekte emanzipatorischen Denkens
im Zeitraum 1857 bis 1876/83 ................................................................................. 16
1.1. »Volle und freie Entwicklung jedes Individuums« ..................................... 16
1.2. »Das wahre Reich der Freiheit« ................................................................... 22
1.3. »Revolution gegen den Staat« ....................................................................... 26
Kapitel 2: Aspekte emanzipatorischen Denkens
im Zeitraum 1876/78 bis 1914 ................................................................................. 31
2.1. »Von der Utopie zur Wissenschaft« ............................................................. 31
2.2. … und doch blieb das utopische Denken .................................................... 36
2.3. Kommunistischer Anarchismus ................................................................... 39
2.4. »Sozialreform oder Revolution?« ................................................................ 42
2.5. »Massenaktion und Revolution« .................................................................. 48
Kapitel 3: Zwischenfazit aus heutiger Sicht ......................................................... 51

Zweiter Abschnitt:
Soziale Emanzipation, revolutionäres Subjekt und ökonomische Krise
im »kurzen 20. Jahrhundert«
Kapitel 4: Am Beginn eines historischen Zyklus .................................................. 54
4.1. »Staat und Revolution« ................................................................................. 54
4.2. Terror oder Befreiung? .................................................................................. 56
4.3. Revolutionäre Denkansätze nach der Oktoberrevolution:
Lukács und Korsch ........................................................................................ 60
4.4. Antiautoritarismus und Revolution ............................................................. 66
4.5. Innerbolschewistische linke Oppositionsbewegungen:
Gegen den Bürokratismus, gegen den »Sozialismus in einem Land« ....... 68
4.6. Bewegungs- und Stellungskrieg ................................................................... 72
Kapitel 5: Krise und Konterrevolution ................................................................... 75
5.1. Zur krisentheoretischen Diskussion während der Weltwirtschaftskrise
ab 1929 und der großen Depression ............................................................ 77
5.2. Emanzipatorisches Denken in der Zeit von Weltwirtschaftskrise
und großer Depression .................................................................................. 90

Kapitel 6: Emanzipatorisches Denken nach 1945 ............................................... 102
6.1. Die Marx-Renaissance am Beispiel
französischer Linkskommunisten .............................................................. 102
6.2. Selbstverwaltungsprinzip und Rätedemokratie
in den 1950er und 60er Jahren .................................................................... 109
6.3. Zwischen Orthodoxie und Häresie ........................................................... 119
6.4. Beispiele eines libertären Sozialismus ........................................................ 126
6.5. Emanzipation und Alltagsleben ................................................................. 131
6.6. Zum Zusammenhang von Krisen und Kämpfen
in der Diskussion ab 1968 ........................................................................... 135
6.7. Die Frage des »revolutionären Subjekts«.
Aspekte der Debatte bis 1980 ..................................................................... 140
Kapitel 7: Am Ende eines historischen Zyklus .................................................... 162
Dritter Abschnitt:
Emanzipatorisches Denken in Krisenzeiten.
Die Diskussion um Krise und Befreiung nach 2007
Kapitel 8: Denkansätze im Kontext der Protestbewegungen –
die internationale Diskussion ............................................................................. 170
8.1. Die Krisenproteste ....................................................................................... 170
8.2. Die Diskussion zu Krisen und Krisentheorien ......................................... 178
8.3. David Graeber und der »Kampf der Ideen«
in der Occupy-Bewegung ........................................................................... 192
Exkurs: Anarchistische Diskurse jenseits von Graebers Position ........... 213
8.4. Finanzkapital und »Finanzialisierung« in der kritischen Diskussion ..... 221
8.5. Aspekte kritischer Theorie in Lateinamerika ............................................ 233
8.6. Der Assoziationismus – ein japanischer Theoriebeitrag gegen Kapital,
Nation und Staat .......................................................................................... 237
8.7. Über Marx hinaus zum proletarischen Multiversum ............................... 240
8.8 Arbeitsbegriff und Emanzipationstheorie ................................................. 245
8.9. Aktuelle Rückgriffe auf Marx und auf die Theoriegeschichte
emanzipatorischer Bewegungen ................................................................. 261
Kapitel 9: Die krisen- und emanzipationstheoretischen Debatten
im deutschen Sprachraum ................................................................................... 285
9.1. Die Diskussion zu Krisen und Krisentheorien ......................................... 285
9.2. »Prozesse der Befreiung« ............................................................................ 300
9.3. Lesarten im Sinne einer Philosophie der Praxis ........................................ 304
9.4. Weitere Interpretationsansätze ................................................................... 307
Kapitel 10: Die kritische Perspektive der Neuen Marx-Lektüre ........................ 311
10.1. Kritik der politischen Ökonomie, Operaismus/Postoperaismus,
Neue Marx-Lektüre – Kritik und Antikritik .......................................... 314
10.2. Kritik des traditionellen Marxismus ........................................................ 317
10.3. »Machttheorie oder Werttheorie?« .......................................................... 321
10.4. Kritik problematischer Sozialismuskonzepte ......................................... 325
10.5. Kritik des bolschewistischen
und des antibolschewistischen Kommunismus ...................................... 326
10.6. Kritik gegenüber aktuellen politischen
und theoretischen Denkströmungen ....................................................... 331
10.7. Resümee ...................................................................................................... 334
Vierter Abschnitt:
Befreiung heute
Kapitel 11: Eine abschließende Bewertung ....................................................... 338
Kapitel 12: Autonomie als emanzipatorisches Grundprinzip ............................. 344
Literatur ................................................................................................................. 350
Danksagung

Studienverlauf der Habilitation
Diese Studie wurde vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität
Kassel als Habilitationsschrift anerkannt. Für Unterstützung und wertvolle Hinweise
danke ich dem Betreuer und ersten Gutachter, Prof. Dr. Christoph Scherrer
(Universität Kassel), und dem zweiten Gutachter, Prof. Dr. Jorge Grespan
(Universität Sao Paulo). Den weiteren Teilnehmer/innen der Habilitationskommission
danke ich ebenfalls, speziell Prof. Dr. Sonja Buckel, Prof. Dr. Andreas
Arndt und Dr. Alexander Gallas. Das Habilitationsverfahren wurde am 18. Mai
2016 erfolgreich abgeschlossen.

Mein Manuskript wurde von Prof. Dr. Michael Heinrich, Dr. Frank Engster
und Michael Wendl gegengelesen. Ich danke ihnen für hilfreiche, manchmal auch
kritische Anmerkungen zu meinem Text, die ich bei der Überarbeitung berücksichtigt
habe. Besonders bedanke ich mich bei meinem Lektor Christoph Lieber,
der mir viele wichtige Hinweise gegeben hat. Unterstützung bei der Beschaffung
von Forschungsliteratur erhielt ich von Dr. Rafael Carrion, Dr. Fritz Fiehler, Prof.
Dr. Jorge Grespan, Prof. Dr. Seongjin Jeong, Ken Kubota, Dr. Horst Müller und
Dr. Chris O’Kane.

Ein Teil der vorliegenden Arbeit entstand während meines Aufenthalts am »Netherlands
Institute for Advanced Study« (NIAS) in Wassenaar bei Leiden, wo ich
als Eurias Junior Fellow das Wintersemester 2011/2012 und das Sommersemester
2012 verbrachte; hierfür danke ich der Gastgeberinstitution und dem Eurias
Fellowship Programme.

An einigen Textstellen habe ich überarbeitete Passagen aus meinem kurzen Aufsatz
eingegliedert, der bereits 2012 im Rahmen der Reihe »Philosophische Gespräche
« der Hellen Panke e.V. (Berlin) der interessierten Öffentlichkeit vorgelegt
wurde. Ich danke der Hellen Panke für die Möglichkeit der Publikation.
Ende Mai 2016
Jan Hoff

Einleitung
Themen wie »Emanzipation« und »Revolution« scheinen bei einem gewissen Teil
des Publikums wieder en vogue zu sein. An der Universität von Nanterre fand
2014 ein großer Kongress unter dem Motto »Penser l’émancipation« statt, an dem
Granden der internationalen Marx-Debatte, aber auch zahlreiche junge Theoretiker
teilnahmen. Selbst in Deutschland tut sich etwas. Mittlerweile erscheinen sogar
in »bürgerlichen« Verlagen Einführungen zu den gängigsten »Theorien der Revolution
«, wobei Denker wie Marx und Bakunin, Luxemburg und Marcuse, Žižek
und Graeber behandelt werden.
1 Vor allem hat der aktuelle Zyklus innerhalb der
Geschichte sozialer Bewegungen mit dem Jahr 2011 (Occupy, Indignados) eine
neue Phase erreicht. Der entscheidende ökonomische Hintergrund war zweifellos
die Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise ab 2007. Somit scheint ein günstiger Anlass
für eine Zusammenfassung und Bewertung der internationalen emanzipationstheoretischen
Diskussion gegeben. Letztlich soll dem Leser eine Hilfestellung dazu
gegeben werden, sich auf fundierte Weise sein eigenes Urteil zu bilden.

Die vorliegende Studie schließt zwar an meine Studie Marx global aus dem Jahr
2009 an, konzentriert sich aber nicht nur auf einen anderen historischen Zeitrahmen
und einen anderen Themenschwerpunkt, sondern beruht auch auf einem anderen
methodischen Zugang. In Marx global ging es darum, nachzuvollziehen,
wie sich – ausgehend von der Marx-Rezeption speziell der 1960er Jahre – die
internationale Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie mit
dem Schwerpunkt auf methodologischen und werttheoretischen Fragen bis etwa
2007/08 entwickelt hat. Dabei versuchte ich aufzuzeigen, dass die Entfaltung der
an der Marxschen Ökonomiekritik orientierten Theoriediskussion ab den 1960er
(und teilweise schon ab den 1950er) Jahren nicht zuletzt im Zusammenhang mit
einer sich vollziehenden Abwendung vom dogmatischen Marxismus der Stalinzeit
zu sehen ist. Meine Vorgehensweise in Marx global war theoriegeschichtlich,
obgleich ich mich bemühte, auch den politisch-zeitgeschichtlichen Hintergrund
der geschilderten Theoriedebatten zu berücksichtigen.

Die neue Studie behandelt hingegen ein in Marx global nicht berücksichtigtes
Thema: Die emanzipationstheoretische Debatte innerhalb und außerhalb des deutschen
Sprachraums, wie sie speziell seit 2007, d.h. seit dem Ausbruch der großen
Finanz- und Weltwirtschaftskrise, geführt wurde. Es versteht sich, dass mit der
veränderten Themenstellung auch der Bezugspunkt der Marxschen Ökonomiekritik
anders gewichtet werden muss.

1 Siehe Florian Grosser, Theorien der Revolution, Hamburg 2013.
2 Siehe Jan Hoff, Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit
1965, Berlin 2009.

Die Kritik der politischen Ökonomie wird
in der vorliegenden Studie als wichtiger Bezugspunkt aktueller emanzipationsthe-
theoretischer Diskussionsbeiträge berücksichtigt – sie ist aber keineswegs der einzige
Bezugspunkt. Auch die methodische Vorgehensweise hat sich mit der Themenstellung
geändert. An Stelle der rein theoriegeschichtlichen Fokussierung werde
ich, ausgehend von den sozialen Bewegungen der Krisen- und Depressionsphase,
die Interaktion von Bewegungen und Theoriebildungsprozessen stärker in den
Vordergrund rücken.

Bei den im Rahmen dieser Arbeit dargestellten Theorieansätzen handelt es sich
(zumindest zum Teil) um emanzipatorisches Denken, welches entweder innerhalb
sozialer Bewegungen zu verorten oder auf diese Bewegungen verwiesen ist.
In diesem Umfeld findet ein bedeutender Teil der in der vorliegenden Studie vorgestellten
Denker auch ein Publikum: Einige dieser Theoretiker werden dort intensiv
rezipiert und üben einen beträchtlichen intellektuellen Einfluss aus; viele
jedoch erhalten höchstens am äußersten Rande der Bewegungen eine gewisse Aufmerksamkeit.
Ein grundlegender Ausgangspunkt dieser Studie ist jedenfalls die
Annahme, dass innerhalb sozialer Bewegungen theoretische Rezeptions-, Diskussions-
und Selbstverständigungsprozesse – positiv gefasst und auf den Punkt
gebracht: theoretische Lernprozesse – von entscheidender Bedeutung für ihre politische
Ausrichtung und Weiterentwicklung sind. Dies gilt gleichermaßen für Vergangenheit
und Gegenwart.

Wie bereits Marx global und eine ergänzende Publikation3 zeugt auch die vorliegende
Arbeit von dem Versuch, neben der deutschsprachigen die internationale
Diskussion so weit wie möglich zu berücksichtigen. Dabei bin ich erneut
an sprachliche Grenzen gestoßen, da ich nur solche Diskussionsbeiträge aus erster
Hand aufnehmen kann, die entweder in den germanischen und romanischen
Sprachen verfasst oder in diese übersetzt wurden. Wie das Vorgängerbuch bleibt
die vorliegende Studie daher ergänzungsbedürftig – speziell was die Rezeption
und systematische Aufarbeitung der krisentheoretischen und der emanzipationstheoretischen
Debatten aus asiatischen Ländern (speziell Japan und Süd-Korea)
betrifft.

In der vorliegenden Untersuchung geht es darum, die neueste Entwicklungsphase
emanzipatorischen Denkens – die im Kontext der 2007 ausgebrochenen Finanz-
und Wirtschaftskrise sowie der darauffolgenden internationalen Welle von
Sozialprotesten zu betrachten ist – als einen vielfältigen und differenzierten Diskussionszusammenhang
vor spezifischen historischen Hintergründen zu erforschen
und darzustellen.

3 Siehe Jan Hoff, Marx-Rezeption in den 1960er Jahren und in der Gegenwart – Fallbeispiele
zwischen Editionsgeschichte und sozialen Bewegungen, in: Frank Engster/Jan Hoff, Die
Neue Marx-Lektüre im internationalen Kontext (= Reihe Philosophische Gespräche 28), Berlin
2012, S. 8-28.

Anhand der stärker historischen Textabschnitte dieser Arbeit, die zu der Vielfalt
aktueller emanzipatorischer Denkansätze hinführen und die geschichtlichen
Hintergründe ausleuchten, ist eine weitere wesentliche Veränderung gegenüber
Marx global festzustellen. Mit dem thematischen Blickwinkel erfährt auch der
Umkreis der in Betracht gezogenen historischen Personen eine Modifikation. Der
Blick auf die Geschichte des Marxismus verändert sich, wenn es speziell um eine
Genealogie emanzipationstheoretischen Denkens geht, und nicht mehr um die
– unter inhaltlichen Kriterien fraglos berechtigte – rezeptionshistorische Nachzeichnung
wert- und gegenstandstheoretischer, methodologischer, aufbauplantheoretischer
oder epistemologischer Debatten innerhalb der Marx-Forschung
im engeren Sinne.
Ein Aspekt muss entschieden festgehalten werden: Bei diesem historiographischen
Unterfangen kann es nicht darum gehen, einen ein für allemal fest abgesteckten
genealogischen »Kanon« der für relevant erachteten emanzipationstheoretischen
Diskussionsbeiträge festzulegen. Wie Marx global will und soll die
vorliegende Studie für Ergänzungen, Revisionen, Korrekturen und eventuelle
Neueinschätzungen offen sein und als Herausforderung zu einer kontroversen,
vielstimmigen Diskussion dienen.
Speziell mit Blick auf die ersten beiden Abschnitte, die eine Reihe wichtiger
Denkansätze einerseits aus dem Zeitraum 1857-1914, andererseits aus dem »kurzen
20. Jahrhundert« diskutieren, bleibt die Unmöglichkeit zu betonen, der ganzen
Vielfalt des damaligen emanzipationstheoretischen Denkens gerecht zu werden.
Es mussten thematische Schwerpunkte gesetzt und eine Auswahl getroffen werden.
Als Kriterium diente nicht zuletzt die Relevanz bestimmter historischer Debatten
und Theorien für aktuelle Diskussionsprozesse.
So ist es zu erklären, dass auf Zirkel wie die Situationisten, auf Vordenker von
relativ kleinen Gruppen wie »Socialisme ou Barbarie« und von Diskussionszusammenhängen
wie der jugoslawischen Praxis-Gruppe ebenso eingegangen wird
wie auf Querdenker von Camatte und Rubel bis Krahl und Gorz. Großenteils
sind es solche jenseits von Sozialdemokratie und »offiziellem« Kommunismus stehende
Denker, die im Rahmen aktueller emanzipatorischer Diskurse als Bezugspunkte
dienen. Die historische Entwicklung des an Marx orientierten Denkens ist
aktuell an einem Punkt angelangt, in dem die Geschichte der verschiedenen »häretischen
« Strömungen auf beachtliches Interesse trifft.
Zwei Bemerkungen sind kurz vorauszuschicken, können hier jedoch noch nicht
argumentativ ausgearbeitet werden. Erstens ist kein Hehl daraus zu machen, dass
die in dieser Arbeit vertretene Position der Neuen Marx-Lektüre nahesteht. Trotz
der gegenteiligen Meinung einiger Skeptiker4 kann die Neue Marx-Lektüre sehr

4 Siehe z.B. Karl Reitter (Hrsg.), Karl Marx: Philosoph der Befreiung oder Theoretiker des
Kapitals?, Wien 2015.

Zwei Bemerkungen sind kurz vorauszuschicken, können hier jedoch noch nicht
argumentativ ausgearbeitet werden. Erstens ist kein Hehl daraus zu machen, dass
die in dieser Arbeit vertretene Position der Neuen Marx-Lektüre nahesteht. Trotz
der gegenteiligen Meinung einiger Skeptiker4 kann die Neue Marx-Lektüre sehr
wohl zu einer sinnvollen emanzipationstheoretischen Neuausrichtung der an Marx
anschließenden Denkansätze beitragen, und zwar durch die entschiedene Kritik
an bestimmten problematischen (z.B. geschichtsdeterministischen, arbeiterexklusivistischen
oder zusammenbruchstheoretischen5) Elementen im Revolutionsverständnis
des Traditionsmarxismus. Die Rezeption der Neuen Marx-Lektüre ist
indes nur eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung zur Erarbeitung
einer zeitgemäßen Emanzipationstheorie; letztere stellt nach wie vor ein Desiderat
dar. Zweitens möchte ich vorwegschicken, dass der von mir im Anschluss
an Marx, Bakunin und andere sozialistische Denker skizzierte Emanzipationsbegriff
sich um den Kerngehalt einer möglichst zu erweiternden (kollektiv-gesellschaftlichen
wie auch individuellen) Autonomie dreht. Was hierunter zu verstehen
ist, habe ich zunächst in Auseinandersetzung mit Marx angedeutet, dann bei
der Beschäftigung mit anderen Denkern immer wieder in einzelnen Facetten aufgegriffen
und zum Schluss der Arbeit kurz und bündig auf den Punkt zu bringen
versucht.

5 Rudolf Walther diskutiert die von manchen Sozialdemokraten vor 1914 gehegte und gepflegte
Zusammenbruchsthese, weist aber auch darauf hin, dass andere SPD-Theoretiker dieser
Zeit nicht zusammenbruchstheoretisch argumentierten (»Aber nach der Sündflut kommen wir
und nur wir.« .

»Zusammenbruchstheorie«, Marxismus und politisches Defizit in der SPD [1890-
1914], Berlin/West 1981). Eine spezielle Art der Zusammenbruchstheorie kam ab 1929 mit dem
kommunistischen Ökonomen Grossmann und seinen Anhängern auf.

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