Silvan Imhof: Der Grund der Subjektivität . Motive und Potenzial von Fichtes Ansatz

Online-Publikation: Oktober 2014  im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Silvan Imhof: Der Grund der Subjektivität . Motive und Potenzial von Fichtes Ansatz . Helmut Holzhey / Wolfgang Rother (Hrsg.) >>
SchwPhil XV: 267 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-7965-2844-6 . sFr. 57.- / € (D) 48.- / € (A) 49.-
Schwabe  Verlag, Basel; http://www.schwabe.ch; Schwabe Philosophica (SchwPhil)

Inhalt
Eine systematische Rekonstruktion von Fichtes Grundsatzkonzeption
Fichtes Wissenschaftslehre wird nach wie vor oft auf die Stichworte «Ich », «Grundsatz » und «Systemphilosophie» reduziert und damit einer Richtung zugerechnet, die aus heutiger Sicht ihren Ansprüchen nach als überrissen und ihren Resultaten nach als überholt gilt. Durch die intensivierte Fichte-Forschung der letzten beiden Jahrzehnte wurde diese Einschätzung zwar insofern in Frage gestellt, als sie auf historisch bedeutende und systematisch beachtenswerte Leistungen Fichtes aufmerksam gemacht hat. Dennoch hat sich wenig daran geändert, dass der eigentliche Ansatz der Wissenschaftslehre – die Fundierung der Philosophie auf der Basis des Begriffs des Ich – als Paradigma eingestuft wird, das als solches keiner Rechtfertigung fähig ist und das als systematisch obsolet betrachtet wird. Demgegenüber wird in der vorliegenden Studie gezeigt, dass Fichtes Systemgrundlage nicht auf einem unhinterfragten Paradigma beruht, sondern gezielt als Antwort auf Einwände gegen die Transzendentalphilosophie konzipiert wurde. Das tatsächliche systematische Potenzial und die argumentative Stärke der Wissenschaftslehre zeigen sich, wenn sie ausgehend von jenen Problemen verstanden wird, deren Lösung sie sich zur Aufgabe gemacht hat. Dabei wird deutlich, dass es Fichte um eine Verteidigung der Möglichkeit der Transzendentalphilosophie gegen den Skeptizismus geht: Die Einwände der Skeptiker machen ihn auf schwerwiegende Faktizitäts- und Anwendungsprobleme im Zusammenhang mit der zentralen kantischen Frage nach der objektiven Gültigkeit von Erkenntnis aufmerksam. Genau derartige Schwierigkeiten will Fichte, wie die Analyse der Argumentation zeigt, mit seinen Grundbegriffen der Tathandlung bzw. der Selbstsetzung und der intellektuellen Anschauung ausräumen.

Fichte vollzieht mit seinem neuen Ansatz eine systematisch und philosophiegeschichtlich entscheidende Wendung, indem er Tätigkeit als dasjenige in Ansatz bringt, was Subjektivität konstituiert und was die Basis aller Intentionalität ausmacht. Er bringt eine radikal neue ontologische Auffassung von Subjektivität als irreduzibler Tätigkeit ins Spiel, welche die Anforderungen erfüllen kann, die eine tragfähige, gegen die skeptischen Einwände resistente Basis der Transzendentalphilosophie erfüllen muss. Mit seinem Verständnis von Subjektivität als tätigkeitsbasierter Intentionalität gelangt Fichte zu einem systematischen Ansatz, der – trotz aller nicht zu unterschlagenden Schwierigkeiten im Einzelnen – insgesamt eine ernstzunehmende Antwort auf die skeptische Herausforderung der Transzendentalphilosophie darstellt. Die Wissenschaftslehre Fichtes erweist sich daher als argumentativ beachtenswerter Theorieansatz mit einigem Problemlösungspotenzial. Selbst wenn Fichtes Letztbegründungsansprüche relativiert werden müssen, kann die Wissenschaftslehre immer noch als eine erste umfassende Theorie intentionaler Phänomene – Erkennen, Handeln, Personalität, Interpersonalität – gelten und bestehen.   

Der Protagonist
Johann Gottlieb Fichte (* 19. Mai 1762 in Rammenau; † 29. Januar 1814 in Berlin) war ein deutscher Erzieher und Philosoph. Er gilt neben Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel als wichtigster Vertreter des Deutschen Idealismus.
http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlieb_Fichte

Autor
Silvan Imhof, geb. 1974, ist Mitarbeiter an der Edition von K.L. Reinholds Gesammelten Schriften und forscht im Rahmen seines Habilitationsprojekts zu Kants Spätphilosophie, in Bern. http://www.philosophie.unibe.ch/content/ueber.../imhof/index_ger.html

Fazit
'Im Rahmen seines Habilitationsprojekts zu Kants Spätphilosophie hat Silvan Imhof in seinem philosophischen Diskursbuch "Der Grund der Subjektivität . Motive und Potenzial von Fichtes Ansatz (1)" sich mit dem Feld der Transzendentalphilosophie beschäftigt.  Er thematisiert dazu den Defizit des Tatsachenmodells von Subjektivität, 'von der Tatsache zur Tathandlung und deren Grund. Danach erweitert Imhof das Fragefeld der Tathandlung mit den Auffassungen von  Reinhold (2), Schelling (3), Kant (4) und ihre intellektuelle Anschauung zur transzendentalen Deduktion(6), der Theorie des Intentionalen (5) und dem Interpersonalen (7).  Es geht um ein hoch aktuelles Thema, nämlich um den Diskurs zwischen transzendentem und materialistischen Denken. m+w.p14-10

(1)
Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“
Ein zentraler Kern in Fichtes Philosophie ist der Begriff des „absoluten Ich“. Dieses absolute Ich ist nicht mit dem individuellen Geist zu verwechseln. Später nutzte er die Bezeichnung „Absolutes“, „Sein“ oder „Gott“. Fichte beginnt in seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre mit einer Bestimmung des Ich:
„Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That sind Eins und dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung.“[7]
Fichte ging es um die praktische Umsetzung seiner Philosophie, weshalb er die Errichtung eines lückenlosen philosophischen Systems als zweitrangig erachtete
http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlieb_Fichte
(2)
Carl Leonhard Reinhold (* 26. Oktober 1757 in Wien; † 10. April 1823 in Kiel) war Philosoph und als Schriftsteller der wichtigste aus Österreich stammende Vertreter der deutschen Aufklärung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Leonhard_Reinhold
(3)
Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schelling (* 27. Januar 1775 in Leonberg, Herzogtum Württemberg; † 20. August 1854 in Bad Ragaz, Kanton St. Gallen; 1812 geadelt) war ein deutscher Philosoph und einer der Hauptvertreter des Deutschen Idealismus. Schelling war der Hauptbegründer der spekulativen Naturphilosophie, die von etwa 1800 bis 1830 in Deutschland fast alle Gebiete der damaligen Naturwissenschaften prägte. Seine Philosophie des Unbewussten hatte Einfluss auf die Ausbildung der Psychoanalyse. Schellings Philosophie bildet sowohl das entscheidende Verbindungsglied zwischen der kantischen und der hegelschen Philosophie als auch zwischen der idealistischen und nachidealistischen Philosophie. In ihr gehen Vernunftspekulation und über den Idealismus hinausgehende Motive ineinander.
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_Joseph_Schelling
(4)
Immanuel Kant (* 22. April 1724 in Königsberg, Preußen; † 12. Februar 1804 ebenda) war ein deutscher Philosoph der Aufklärung. Kant zählt zu den bedeutendsten Vertretern der abendländischen Philosophie. Sein Werk Kritik der reinen Vernunft kennzeichnet einen Wendepunkt in der Philosophiegeschichte und den Beginn der modernen Philosophie.
Kant schuf eine neue, umfassende Perspektive in der Philosophie, welche die Diskussion bis ins 21. Jahrhundert maßgeblich beeinflusst. Dazu gehört nicht nur sein Einfluss auf die Erkenntnistheorie mit der Kritik der reinen Vernunft, sondern auch auf die Ethik mit der Kritik der praktischen Vernunft und die Ästhetik mit der Kritik der Urteilskraft.
http://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant
(5)
Der Begriff der Intentionalität
bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, sich auf etwas zu beziehen (etwa auf reale oder nur vorgestellte Gegenstände, Eigenschaften oder Sachverhalte). Das Konzept lässt sich antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theoretikern zuschreiben und geht in der modernen Diskussion meist auf den Philosophen und Psychologen Franz Brentano zurück. Dieser hatte den Begriff in seiner Arbeit Psychologie vom empirischen Standpunkte  wiedereingeführt. Durch die Arbeiten Edmund Husserls wurde Intentionalität zu einem zentralen Konzept der Phänomenologie.
In den heutigen philosophischen Debatten der Philosophie des Geistes wird Intentionalität oftmals als spezifisches Merkmal des Mentalen verstanden: Gebe es Intentionalität, so gebe es Mentales – und nicht etwa nur Materielles und naturwissenschaftlich Beschreibbares. Die Annahme von Intentionalität, ebenso wie die von phänomenalem Bewusstsein bzw. von Qualia, stellt daher aus der Sicht der Vertreter des Mentalen ein Problem für den Materialismus dar.
(6)
Transzendentale Deduktion ist nach der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant die Rechtfertigung der Annahme der objektiven Gültigkeit der aus der Urteilstafel abgeleiteten Kategorien durch den Beweis, dass diese unentbehrliche Bestandteile des – nach Kant einzig adäquaten – theoretischen Bezugsrahmens sind, innerhalb dessen Vorstellungen als Wahrnehmungen von Gegenständen gedeutet werden.[1]
Die zugrundeliegende Frage war für Kant, wie die Kategorien, die Ordnungsmechanismen des Denkens sind, mit der Anschauung verknüpft werden, die ein spezieller Gegenstand bei der Betrachtung auslöst. ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Transzendentale_Deduktion
(7)
Interpersonalität
http://www.fichte-news.org/index.php?page=nnc/news&id=899
Transzendentalphilosophie und Person Leiblichkeit - Interpersonalität - Anerkennung
Christoph Asmuth (éd) transcript Verlag September 2007
Leiblichkeit, Interpersonalität und Anerkennung sind zentrale Begriffe einer Philosophie der Person. In einer neuartigen Sichtweise, die sich an transzendentalphilosophischen Ansätzen orientiert, nimmt dieses Buch den Leib zum Ausgangspunkt. Das leibliche Ich wird dabei durch die fundamentale Perspektive auf die zweite Person, das Du, zur Interpersonalität erweitert. In der gegenseitigen Anerkennung der Personen entwickelt sich so die Basis für eine Theorie der Sozialität.
Die Interpersonale Wahrnehmung
(auch: Personenwahrnehmung) ist ein spezielles Forschungsgebiet im Bereich der Pädagogischen Psychologie und der Sozialpsychologie.
Die zentralen Fragen innerhalb dieses Bereichs der Wahrnehmung beschäftigen sich mit folgenden Themen:
wie wir andere Menschen wahrnehmen
wie wir andere Menschen bewerten
welche Rolle situative Aspekte und
welche Rolle Einstellungen (Persönlichkeitsdispositionen) dabei spielen.
Wahrnehmung ist dabei immer abhängig von den zur Verfügung stehenden Informationen. Die erste gegenseitige Wahrnehmung hat eine entscheidende Wirkung auf die Entwicklung einer Beziehung. Aber auch wenn Menschen sich schon länger kennen, spielt die gegenseitige Wahrnehmung eine wichtige Rolle für die Interaktion.
http://de.wikipedia.org/wiki/Interpersonale_Wahrnehmung