Wilhelm Pevny : Im Kreis . Roman
Belletristik
W. Pevny: Im Kreis
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Online-Publikation: Dezember 2014 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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239 Seiten, gebunden, Lesebändchen; ISBN: 978-3-99029-133-7; EUR 21,00 / sfr 30,00
Wieser Verlag, A-9020 Klagenfurt/Celovec; http://www.wieser-verlag.com
Fazit
Er fährt seit nahezu vierzig Jahren auf der Wiener Ringlinie. Im Lauf der Zeit werden die Fahrgäste zu Bekannten, und die Geschichten, die er sich zu ihnen ausdenkt, stimmen mit der Wirklichkeit oft verblüffend genau überein.
Er beginnt in dieser Welt des Kreisens aufzugehen, Unbekannte werden zu Gefährten, Fremde zu Freunden. Er erlebt, wie Leute, die zueinander passen könnten, sich ständig verfehlen, aber auch, wie sich andere finden, weil sie zum richtigen Zeitpunkt in denselben Wagen eingestiegen sind.
Und das alles findet in einer historischen Umgebung statt, die übersät ist mit Denkmälern und Gedenktafeln – die allerdings, wie er meint, oft den falschen oder zumindest nicht den vielen wirklichen Helden gewidmet sind: zum Beispiel dem Stemmer Zamecnik, der täglich die gehunfähige Frau Peierl vom vierten Stock hinunter und wieder hinaufgetragen hat und keiner Maus etwas zuleide tun konnte, oder dem Apothekergehilfen Gasteiger, der zu arm war, um Medizin zu studieren, aber für die Leute im Bezirk sehr bald „der junge Herr Doktor“ war, der sie gratis behandelte und deswegen ins Gefängnis musste. Die Putzfrau Mitzi Wunderer, die den depressiven Herrn Machacek vor dem Selbstmord bewahrte, und Franzi Bittner, der einen Gleichaltrigen aus der Donau gerettet hatte. Überall auf der Route der Linien 1 und 2 befindet sich ein Stück Erinnerung an solche vergessenen Menschen, und er kennt sie alle. Eine solche Welt sei eine bessere als die, welche noch immer die Luegers und Starhembergs verehrt – zum Glück sei deren steinerne nicht die wirkliche, meint er. Aber wer könne schon sagen, was wirklich ist…
Die Leute glauben wahrscheinlich manchmal, wir sind unfreundlich oder stoisch oder jähzornig. In Wahrheit bewegen wir uns einfach in anderen Sphären. Fahren Sie einmal einen ganzen Tag lang im Kreis, Sie werden sehen, wie das Ihren Geist und Ihre Einstellung zu allem verändert. Alles wird einerseits langsamer und träger, andererseits wissen Sie manchmal nicht, was Wahrheit ist und was Traum. Drittens müssen Sie aber immer den Verkehr, vor allem aber die Fussgänger und Radfahrer im Auge behalten. Und dann ist da ständig das eigene Denken, das man zwar wegdrängen, aber nicht abstellen kann.
Autor
Wilhelm Pevny: Geboren 1944 in Wallersdorf (Niederbayern), 1946 Übersiedlung nach Wien – Studium der Theaterwissenschaft, 1967–69 Sprachlehrer in Paris. Theaterstücke u. a. am Akademietheater, Volkstheater Wien und La Mama, New York. Fürs Fernsehen schrieb er gemeinsam mit Peter Turrini die „Alpensaga“. In Mosambik drehte er 1985 den Film „Safari. Die Reise“. Lebt seit 1989 zurückgezogen in Wien und Retz, arbeitet an Langzeitprojekten. Im Wieser Verlag erschienen: Palmenland (2007), Luft (2009) und Die Erschaffung der Gefühle (2013). 2014 – Literaturpreis der Stadt Wien für sein Lebenswerk.
Fazit
Er ist 41 Jahre Strassenbahn gefahren und "Im Kreis" -fünf bis sechsmal am Tag- wie er Wilhelm Pevny in seinem 'Lebens-Roman' schreibt. Und wo bitte? In Wien auf der 'seiner Ringlinie (1)'. Sein subrealistischer(2) bis melancholischer und zugleich charakterisierender Blick in den Wiener Alltag umkreist ein ganze Generation, die bei im ein- und ausstiegen.
Gleich eingangs tritt dieser ergreifende Blick - mitten in der Fahrt am Ring in hervorragender Weise treffend zutage: ' So wie auch Gitta und ich...Gitta war bildschön und ihr Herz aus Gold. Wahrscheinlich müssen solche Menschen früh sterben. Und wo Glück herrscht, muss es wohl zerbrochen werden. " Es geht 'im Kreis' im generationsumgreifenden Lebensroman von Pevny um einen grossartigen Wiener Literaten, der es in einfachen, zugleich berührenden Sätzen das Humanum vor den Lesenden fast augurisch(4) auszudeuten vermag. m+w.p14-12
1)
Die Wiener Ringstrasse . Das Buch . Historische Fotografien und Aktuelle von Nora Schoeller , Hatje Cantz Verlag, Ostfildern;
http://www.hatjecantz.de;
http://www.kultur-punkt.ch/Lebensraum/die-wiener-ringstrasse/articles/Lebensraum-die-wiener-ringstrasse.html ;
2)
Unter Subrealismus, subreralistisch, geprägt in den 60-Jahren in Wien von Walter Prankl, versteht er eine Sichtweise, verwandt mit dem des italienischen Neoverismo / Neorealismus*. Aber mit einer österreichisch- bis wienerisch-urbanen, durchaus provokant mit einer melancholischen Note gepaart , die die Realität, besonders dem Homo Faber in seinem urbanen Lebensraum ästhetisch dokumentiert. Hinzu kommt ein transdisziplinärer, synästhetischer und zugleich gewerkschaftlich-sozial-demokratischer Blickwinkel gewidmet ist. Übrigens nicht zu verwechseln mit dem stalinistischen Soz-Realismus Gorki's) in Wort, Schrift, Fotografie und Grafik - subrealistisch eben.
3)
Der Italienische Neorealismus bezeichnet eine bedeutende Epoche der Filmgeschichte und der Literatur von 1943 bis etwa 1954. Der Neorealismus, auch Neorealismo oder Neoverismo genannt, entstand noch während der Zeit des italienischen Faschismus unter der Diktatur Mussolinis und wurde von italienischen Literaten, Filmautoren und Regisseuren begründet, darunter Roberto Rossellini, Luigi Zampa, Luchino Visconti, Federico Fellini, Vittorio De Sica. Der Neorealismus war eine Antwort auf den Faschismus in Italien, künstlerisch vom Poetischen Realismus Frankreichs beeinflusst, aber auch politisch durch den Marxismus motiviert. Die ersten Filme dieses Stils entstanden noch während der Zeit, in der das Land im Norden von den Deutschen und im Süden von den Alliierten besetzt war. Die Filme des Neorealismus sollten die ungeschminkte Wirklichkeit zeigen; das Leiden unter der Diktatur, Armut und Unterdrückung des einfachen Volkes. Der Neorealismus ist in erster Linie ein „moralischer Begriff“, so Roland Barthes, der „genau das als Wirklichkeit darstellt, was die bürgerliche Gesellschaft sich bemüht zu verbergen“.
http://de.wikipedia.org/wiki/Italienischer_Neorealismus
(4)
Hier: ..aus ganz persönlicher Lebensweisheit etwas vorausahnend feststellen
allgemein: Ein Augur war ein römischer Beamter, der zu ergründen hatte, ob ein vom Staat oder von einem pater familias (Familienoberhaupt) geplantes Unternehmen den Göttern genehm sei. Er verkündete den Götterwillen, den er beim augurium aus dem Flug und dem Geschrei der Vögel und anderer Tiere las (Auspizien, von lateinisch auspicium „Vogelschau“).http://de.wikipedia.org/wiki/Augur